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25. Harzquerung

Wernigerode - Nordhausen, 51 km
24. April 2004

Brocken und Walpurgisnacht, Goethes Faust und Harzer Käse, viel mehr fiel mir bislang zum Thema Harz nicht ein. Geschweige denn, dass ich jemals dort war. Nun rief die Harzquerung, 51 km von Nord nach Süd, vom malerischen Fachwerkstädtchen Wernigerode in Sachsen-Anhalt ins thüringische Nordhausen.

Die Veranstaltung gibt es schon seit den 70er Jahre. Zwischenzeitlich vom Regime der DDR verboten, wird die Harzquerung seit 1988 ununterbrochen veranstaltet. Trotzdem ist sie weithin unbekannt, keinerlei Werbung wird gemacht, doch die, die sie kennen, sprechen gerne von „Deutschlands schönstem Landschaftsmarathon“.

Außer der langen Strecke wird auch ein 25 km Lauf von Wernigerode nach Benneckenstein und ein 28 km Lauf von Benneckenstein nach Nordhausen angeboten, ebenso kann man die Strecken erwandern. Doch die Teilnehmerzahlen sind klein, obwohl dieses Jahr die Harzquerung die offizielle Deutsche Meisterschaft im Landschafts- und Crosslauf über 50 (na gut 51) km war, mehr als 289 Finisher kamen über die mit Abstand am stärksten besetzte Disziplin, die 51 km, nicht zusammen. Einen Großteil stellen LäuferInnen aus der weiteren und näheren Umgebung, doch Ultras von Südbaden bis Hamburg war der Weg auch nicht zu weit. Wie auch für mich ist es für viele das letzte lange Training vor dem und für den Rennsteig.

Entsprechend familiär ist das Ganze, ein Anmeldeformular gibt es nicht, Postkarte an Familie Unverzagt, auf deren Schultern auch die Hauptlast der Organisation ruht, genügt. Ganz neu kann man sich auch online anmelden. Startnummernabholung in einer angejahrten Wernigeröder Turnhalle, an der der Soli folgenlos vorüber ging. René, der die Möglichkeit, dort zu übernachten nutzte, bezeichnete sie als "die Turnhalle mit dem lautesten Parkett Deutschlands". :-) Dazu gibt’s einen Gepäckanhänger für die Sachen, die man nach dem Lauf im Ziel benötigt, der nicht mal mit der Startnummer bezeichnet werden muss.

Start
Vor dem Start mit Gabi Leidner, meiner Frankfurter Lauffreundin

Wernigerode schmiegt sich an die Nordflanke des Harzes, der Start ist in der Salzbergstrasse und das mit dem Berg kann man wörtlich nehmen. Nach dem Startschuß um 8 Uhr 30 los zu *laufen* kann man sich zumindest in meiner Leistungsklasse schenken, schon nach ein paar hundert Metern steigt der Weg steil an, verläuft parallel zur Skiabfahrt, verengt sich teilweise zu einem schmalen Pfad. War es am Start noch reichlich frisch, ziehen hier viele, die eine Jacke drübergezogen hatten, schon dieselbe wieder aus.

 Einer nach dem anderen, Single Trail, ist bald angesagt, auf den ersten drei Kilometern werden 300 Höhenmeter gewonnen. Ob’s exakt drei sind, weiß man nicht genau, Kilometerbezeichnungen gibt es außer an den vier Versorgungspunkten nicht.  Das Ganze ist so entspannt, dass ich erst nach 35 Minuten bemerke, dass ich glatt vergessen habe, meine Uhr zu starten.

Gruppe
Anfangs wird noch in der Gruppe gelaufen

Der Start ist auch bezeichnend für die Streckenführung. Straßen werden fast nur überquert, auch Waldwege, die befahrbar wären, sind in der Minderzahl. Die meiste Zeit laufen wir auf Wanderwegen und –pfaden.  Den Blick zu sehr schweifen zu lassen, verbietet sich leider. Wurzeln und Steine lauern auf den unaufmerksamen Läufer, wo keine Wurzeln sind, hat in den vorhandenen Spurrillen der Forstwirtschaft der Regen der letzten Tage seine Pfützen hinterlassen oder es werden Feuchtgebiete auf Brücken aus geschälten Baumstämmen überquert. Einmal „oben“ ist die Strecke erst mal „dauerwellig“, mehr oder minder steil geht es ständig bergauf oder bergab.

bergauf
Crosslauf! Sieht so flach aus. War in echt viel steiler!

Nach 11,5 km die erste Versorgungsstation. Hier läuft keiner wie bei Stadtmarathons mit seinem Getränkebecher weiter. Stehenbleiben, das Angebot sichten, Butterbrote, Bananen, Wasser, Iso und Tee, und dann erst mal essen und trinken. Und dann ohne Hast weiter, der Weg ist noch weit und nicht einfach. Immer wieder ist das Tuten der Harzschmalspurbahn zu hören. Eine Fahrt wäre sicher reizvoll, ab und an wird da auch eine Dampflok vorgespannt. Irgendwann schickt uns die Streckenführung sogar einen Bahndamm hinauf, wir laufen tatsächlich ein Stück auf den Eisenbahnschwellen. =8-)

Schienen
Über Bahnschwellen, dann wieder Trampelpfad.

Das Feld hat sich längst auseinander gezogen, Vogelgezwitscher beherrscht die Geräuschkulisse. Nadelwald wechselt mit Laubwald, wenn die Sonne rauskommt, ist es ganz schön warm. Dann wieder eine Hochebene, hier pfeift richtig frisch der Wind. Hin und wieder wird eine Straße überquert, die Männer vom DLRG sorgen dafür, dass wir Läufer Vorfahrt haben. Plastikbänder und Kreidepfeile sind verschwenderisch vorhanden, markieren den Streckenverlauf eindeutig. Das ist angenehm, denn zwischendurch laufe ich etliche Kilometer ganz alleine, keiner in Sicht weit und breit. Überhaupt ist es enorm, was die ehrenamtliche Helfer für uns und unsere 14.- pro Kopf auf die Beine stellen.

Das Schild „Landschaftsschutzgebiet“ ist omnipräsent, am Wegesrand werden auf Schautafeln Dinge wie der „Lebensraum Schwermetallwiese“ erläutert. Hm, bei allem Interesse, so geruhsam ist mir dann auch nicht zumute, dass ich stehen bleiben und lesen möchte. ;-)

Vom dritten Versorgungsposten in Sophienhof, zwei Becher Tee und etwas Schokolade, geht es eine ganze Weile bergab, ein Besucherbergwerk samt Museumsbahn lockt schließlich im Tal, doch die Läuferschar schwenkt ein auf den Weg hinauf zum berühmt-berüchtigten Poppenberg. 300 Höhenmeter auf kaum 5 Kilometern, davon einer flach, gehen ist wieder mal angesagt. Zwischendurch ein Kontrollposten, Ordnung muss sein, schließlich sind Deutsche Meisterschaften und den Poppenberg könnten Ortskundige auch umlaufen, Startnummer zurufen, „26. Frau“ kommt zurück, weiter hinauf auf steilen Pfaden. Oben auf dem Gipfel gibt es eine Getränkestation. Km 39, nur noch 12 km, ab hier laut den freundlichen Helfern „nur noch bergab“. Also dann, bergab ist mein Stichwort, endlich ist mein Ehrgeiz geweckt, jetzt geb ich mal Gas!

Bergab geht’s tatsächlich erst mal. Aber wie steil! Auf den nächsten 3 Kilometern geht’s 350 Meter hinab. Bis zum Anschlag schiebt es uns in die Schuhe, nichts ist's mit Gas geben, bremsen ist angesagt. Wie das hier wohl die Spitze des Feldes bewältigt hat? Der Sieger, der mit einem Schnitt von stark 4:00 unterwegs war?

So viele Steigungen und Gefälle, die deutlich merkbare Stoffwechselumstellung, die ich von flachen Strecken so gut kenne, die findet hier und heute nicht statt. Statt tiefem Atmen gibt es höchstens ein nach-Luft-schnappen, wenn der „Weg“ mal wieder der Falllinie folgt. Hier sammelt sich kein Laktat in den Muskeln, hier sammeln sich Tannennadeln in den Schuhen.

"Nur noch runter" war natürlich nur tendenziell richtig, zwischendurch geht’s auch wieder hinauf. Gar nicht schlecht, so kann die „Bremsmuskulatur“ sich auch wieder erholen. Ein ganzes Stück asphaltierte Straße ist einfach herrlich. Endlich mal nicht bei jedem Schritt aufpassen müssen!

Letzte Versorgungsstelle, die Helfer kommen den immer gleichen Fragen der Läufer zuvor, sagen stereotyp „Hier ist Cola und es sind noch 3,5 Kilometer“. Auch ich greife zur Cola, ich trinke das sonst nie, aber auf dem letzten Teil einer langen Strecke kann ich mir nichts Besseres als diesen Kick aus Zucker und Koffein vorstellen.

Nochmal einen Hang hinauf, dann wirklich nur noch bergab über Wiesenwege, Nordhausen kommt in Sicht. Jetzt wären Kilometermarkierungen willkommen. Ein Helfer am Wegesrand ruft „gar nicht mehr weit, nur noch 600 oder 700 m“. Nein, denke ich, das kann nicht sein. Erst stark 10 Minuten seit dem letzten Verpflegungspunkt. Dann eine lange lehmige „Straße“, um einige Kurven, ah ein Sportplatz, das Ziel in Sicht! Ob noch ne Stadionrunde fällig wird? Nein, nur ein kurzer Endspurt und dann bin ich da! Schon hab ich meine Medaille um den Hals. 5 Stunden und 36 Minuten, der Sieger ist schon seit zwei Stunden und fast zehn Minuten hier, aber für den 21. Platz unter den 47 Frauen hat es doch gereicht.

Ziel
Lange Strecke, großer Unterschied: René war fast zwei Stunden schneller :-)

Nicht gereicht hat es für warmes duschen, eiskaltes Wasser muss jetzt nicht sein, ich begnüge mich daher mit „abstauben“. Ein Bus bringt uns in eineinviertel Stunden zurück nach Wernigerode, wo die Badewanne auf mich wartet! Abends dann Buffet in der Jugendherberge in netter Runde, Läuferlatein wird gesponnen und wer's verträgt rehydriert mit dem einheimischen Hasseröder Bier. 

Startfoto: Manfred Iser, Zielfoto: Michael Krüger, Rest von mir 
 
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